Hunderteinundvierzig Gramm für den Eigenbedarf
Ein aktueller Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf zeigt, wie Polizei und Staatsanwaltschaft gegen Drogendealer ermitteln und dafür auch deren verschlüsselte Kommunikation auswerten.
Düsseldorf / Kriminalität — Ein diese Woche vor der 11. großen Strafkammer des Düsseldorfer Landgerichts gestarteter Prozess gibt interessante Einblicke in die Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft im Kampf gegen illegalen Drogenhandel. In dem vorliegenden Fall soll der Angeklagte mehrmals strafrechtlich relevante Mengen Gras gekauft haben, um es dann weiterzuverkaufen. Unter anderem hatte er Cannabis in Südspanien bestellt und an das Haus seiner Eltern in Neuss, in dem er zu dieser Zeit in einem Zimmer wohnte, schicken lassen. Zwei dieser Sendungen waren in einem DHL-Depot in Köln erfolgreich auf Drogen untersucht worden — was dem Angeklagten das Interesse der Strafverfolgungsbehörden einbrachte.
Angeklagter meldet beachtlichen Eigenbedarf an
Die Polizei beantragte einen Durchsuchungsbeschluss für die Adresse des Beschuldigten und besuchte das Haus der Eltern — die am ersten Prozesstag nicht anwesend waren und anscheinend am Morgen der Durchsuchung dachten, ihr Sohn sei noch unterwegs und nicht nach Hause gekommen. Stattdessen schlief er in seinem Zimmer. Die Polizei stellte in dem Raum insgesamt 141 g Marihuana, eine Feinwaage und Verpackungsmaterial sicher. Laut Anklage der Staatsanwaltschaft sollen Waage und Verpackungsmaterial dazu gedient haben, das Gras zu portionieren und dann weiterzuverkaufen.
Der Angeklagte streitet ab, die 141 g Cannabis in seinem Zimmer seien zum Verkauf bestimmt gewesen. Er gab zu Protokoll, das Rauschgift zum eigenen Konsum gebunkert zu haben. Laut vorsitzendem Richter handelte es sich immerhin 1.610 Konsumeinheiten. Nach einer Sitzungspause und einem Gespräch mit seinem Pflichtverteidiger gab der Angeklagte schließlich zu, gelegentlich kleine Mengen an Freunde abgegeben zu haben. Dem Richter, der sich nach eigener Aussage seit 20 Jahren hauptsächlich mit Betäubungsmittel-Delikten befasst, viel es sichtlich schwer, das zu glauben.
Er versuchte immer wieder, dem Angeklagten eine plausible Geschichte seiner Arbeitsverhältnisse und seines gleichzeitigen Drogenkonsums zu entlocken. Dabei bliebt unbeantwortet, wie es der Angeklagte schaffte, gleichzeitig sehr motiviert als Abteilungsleiter eines Warenlagers zu arbeiten, und dabei derart beachtliche Mengen Gras zu konsumieren. Ebenfalls unbeantwortet blieb die Frage, wie er sich den Kauf dieser Mengen an Marihuana hatte leisten können.
Fingerabdruck aus Handyfoto extrahiert
Interessanterweise beschuldigt die Staatsanwaltschaft den Angeklagten auch, im Juni 2020 zwei Kilogramm Cannabis für €4.900 erworben zu haben. Angeblich von einem in der Neusser Drogenszene bekannten Drogen-Importeur, der mittlerweile auch schon zu einer über sechsjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist. Diese Anschuldigung beruht auf Chatverläufen des verschlüsselten Android-Messengers EncroChat, den die französische Polizei etwa zur selben Zeit unterwandert hatte.
Ein Nutzer dieses Messenger-Dienstes hatte augenscheinlich einen entsprechenden Drogenkauf in Neuss organisiert und später ein Bild mit Cannabis-Blüten — anscheinend aus dem Kauf — an den Verkäufer geschickt. Dabei hielt der EncroChat-Nutzer die Blüten auf dem Foto in seiner linken Hand in die Kamera seines Smartphones. Dem Bundeskriminalamt (BKA) gelang es, mit Hilfe der auf dem Foto sichtbaren Finger-Oberflächen, den Angeklagten zu identifizieren. Seine Fingerabdrücke waren wegen mehrerer früherer Prozesse und Vorstrafen, unter anderem wegen Gewaltverbrechen, im automatischen Fingerabdruck-Identifizierungssystem (AFIS) des BKA gespeichert.
Der Pflichtverteidiger des Angeklagten hegte Zweifel an dem BKA-Gutachten zur Identifizierung der Hand des Angeklagten, was eventuell in einem späteren Verhandlungstermin zu einer Prüfung des Gutachtens durch das Gericht führen könnte. Der vorsitzende Richter gab allerdings zu Protokoll, dass diese Art der Identifizierung von Fingerabdrücken bereits in mehreren ähnlichen Prozessen von Gerichten akzeptiert worden sei. Bereits im Jahr 2018 hatte die britische Polizei einen Drogenhändler auf diese Art überführt.
Im Drogendealer-Chat beim Namen genannt
Das BKA hatte den Angeklagten allerdings nicht nur über den Ort der Drogenübergabe und seine Fingerabdrücke identifiziert. Der Richter verlas ebenfalls ein Chatprotokoll, in dem sich anscheinend mehrere Drogendealer über den Angeklagten unterhielten, weil dieser in ihrem Revier gewildert und einen der mutmaßlichen Dealer gegen einen Kumpel ausgespielt hatte. Angeblich weil der Angeklagte eine bestellte Drogenlieferung nicht sofort bezahlen konnte. Dabei benutzte einer der Drogen-Importeure mehrmals Vor- und Nachname des Angeklagten. Im Chat zum €4.900-Drogenkauf in Neuss war der unbekannte EncroChat-Nutzer von einem Dealer-Freund ebenfalls mehrmals mit einer Kurzform seines Vornamens angesprochen worden.
Laut Aussage von Kriminalbeamten sind solche Methoden zum Identifizieren der einzelnen Verdächtigen in Internet-Chats durchaus Routine. Allerdings dürfte der Zugriff auf Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation bisher eher eine Seltenheit sein — jedenfalls bis die EU-Kommission es schafft, ihr umstrittenes Chatkontrolle-Gesetz umzusetzen. Das BKA hatte auf diese Chats nur Zugriff, weil die französische Polizei damals die Server des Dienstes EncroChat unterwandert und die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung mit einem auf die Endgeräte gespielten Trojaner umgangen hatte. Ob die Daten aus dem EncroChat-Hack in deutschen Strafverfahren zulässig sind, ist nach wie vor nicht endgültig geklärt.
Der Prozess geht weiter
Auch am Ende des ersten Prozesstages stritt der Angeklagte weiterhin ab, mit Drogen gehandelt zu haben. Ihm sie nicht bekannt, wie sein Name in die Chatverläufe von verurteilten Drogendealern komme, sagte er. Der Richter gab bekannt, einen der verurteilten Dealer, die mit dem Angeklagten in Chats Kontakt gehabt haben sollen, eventuell an einem weiteren Prozesstag als Zeuge vernehmen zu wollen. Ich werde, wenn möglich, weiter für Gib Gras! über dieses Verfahren berichten.
Angesichts der von der Bundesregierung angestrebten Legalisierung gehören solche Verfahren ja mit etwas Glück bald der Vergangenheit an. 🌱